Zahllose ungelöste Probleme bedrohen die Existenz der Europäischen Union. Angefangen von der Bankenkrise über die Frage eines Grexits bis zur Ukrainepolitik der EU. Seit Sommer 2015 verschärfte die Flüchtlingskrise die Spannungen innerhalb der Union, die überdies durch einen möglichen Austritt Großbritanniens existentiell gefährdet ist. Auch die Politik der Bundesregierung hat Anteil an dieser Entwicklung. So hat sich Deutschland nicht nur von vielen osteuropäischen Ländern entfremdet, auch die Zusammenarbeit mit Russland, der Türkei oder den USA ist nicht leichter geworden. Dabei ist Berlin auf seine internationalen Partner in vielerlei Hinsicht angewiesen.
Die deutsche Energiewende
Die Irrationalität und der Alarmismus in der deutschen Politik trat erstmals bei der Energiewende deutlich zu Tage. Der Reaktorunfall in Fukushima vom März 2011 führte zu einer überraschenden Wende in der Energiepolitik der schwarz-gelben Koalition. Während man zuvor noch die Laufzeiten für die deutschen AKWs verlängerte hatte, sollte nun mittels der „Energiewende“ ein schneller und radikaler Umstieg auf erneuerbare Energien vollzogen werden. Wer hätte damit gerechnet, dass ausgerechnet eine Regierung unter einer konservativen Kanzlerin diesen Schritt wagen würde? Es ist erstaunlich, welchen Einfluss die Anti-AKW-Bewegung besonders in Deutschland hat, denn in fast allen anderen europäischen Ländern bedeutet die Verringerung des Treibhausgasausstoßes ein Ausbau der Kernenergie. So beziehen Frankreich und Großbritannien weiterhin große Teile ihres Stroms aus Kernkraftwerken, Polen plant sogar, mit dem Bau zweier Reaktoren in diese Form der Energiegewinnung einzusteigen. Wie sähe eine gemeinsame europäische Energiepolitik also aus? Selbst Japan konnte sich nach dem Zwischenfall bislang nicht zu einem Ausstieg aus der Atomkraft entschließen.
Dass bereits jetzt Kritik geübt wird an Forschungen zur Kernfusion – einer absolut sauberen Technik – lässt einen Beobachter an der Objektivität der Diskussion rund um die Kernenergie zweifeln. Einen langfristigen Ausstieg würde dabei unzweifelhaft die Mehrheit der Bevölkerung begrüßen, ein überstürzter und deswegen auch teurer Wechsel zu grünen Energien dagegen sollte kritisiert werden dürfen. Einen Pluspunkt hat allerdings der Ausbau der regenerativen Energiequellen – es macht Deutschland und viele andere europäische Länder unabhängiger von saudischen Erdöl. Damit wird das arabische Königreich langfristig einen nicht unerheblichen Teil seiner Einnamen verlieren und idealerweise weniger Mittel zur Verbreitung seiner wahhabitischen Theologie oder für ein Sponsoring dubioser islamistischer Gruppierungen zur Verfügung haben.
Die Bundeswehr im Auslandseinsatz
In der Außenpolitik scheint Deutschland nicht willens, sich an Militäreinsätzen der europäischen Partner zu beteiligen. Die einzigen relevanten Ausnahmen bilden bislang die Interventionen im Kosovo und in Afghanistan, andere internationale Einsätze sind aufgrund geringer Mannschaftsstärke oder zeitlicher Begrenzung eher eine Fußnote. Weder am Einmarsch der amerikanisch-geführten Koalition in den Irak im Frühjahr 2003 noch an den Luftschlägen des Westens gegen die Truppen Gaddafis von März bis Oktober 2011 beteiligte sich Berlin. Eine ähnliche Entscheidung scheint sich auch beim Kampf gegen den sogenannten Islamischen Staat abzuzeichnen, obwohl mit Frankreich der wichtigste Partner um Unterstützung gebeten hat.
Zwar wurden bereits im Herbst 2014 Militärausbilder in den Nordirak entsandt und im Dezember 2015 auch Aufklärungsflüge über Syrien beschlossen, eine Beteiligung an Luftschlägen oder gar an Bodentruppen wird bislang aber kategorisch ausgeschlossen. Diese Sonderrolle Deutschlands in sicherheitspolitischen Fragen wird letztlich nicht der Rolle eines verlässlichen Partners gerecht. Das gilt umso mehr, wenn Berlin tatsächlich einen ständigen Sitz im Weltsicherheitsrat anstreben sollte. Natürlich sollte man anerkennen, dass Deutschland in Hinblick auf Krieg und Gewalt eine schwierige Geschichte besitzt und deshalb der Pazifismus stark in der Gesellschaft verankert ist. Doch sind seit dem Ende der Nazi-Diktatur mehr als 70 Jahre vergangen. Das Land hat sich weiterentwickelt, ohne sich vor der Verantwortung seiner Vergangenheit zu drücken.
Die Rolle der Geheimdienste
Gegenüber den USA hat besonders der NSA-Skandal und der Umgang mit Edward Snowden das Verhältnis belastet. Die Entrüstung in Deutschland über amerikanische Abhöraktionen ist allerdings in ihrer Schärfe nur schwer nachvollziehbar. Besonders entsetzt schienen die Medien zu sein, dass „unter Freunden“ spioniert wurde. So eine Einstellung ist zum einen hochgradig naiv und zum anderen symptomatisch für unsere Zeit. Denn in Europa sind realpolitische oder gar machtpolitische Erwägungen aus Gesellschaft und Politik verbannt, während Großmächte wie China, die Türkei, Russland oder die Vereinigten Staaten weiterhin von ihnen geleitet werden.
In der Bundesrepublik herrscht oft ein blinder Idealismus vor, der schlimmstenfalls nicht wahr haben will, was wahr ist. Vergleicht man also die Haltung verschiedener Staaten zu Realpolitik oder Militäreinsätzen, so stellt man fest, dass die deutsche Position nur von einer Minderheit in der internationalen Staatengemeinschaft geteilt wird. Auch die europäischen Nachbarn verfolgen häufig ganz andere Positionen in ihrer Außen- und Sicherheitspolitik. Es wäre nicht uninteressant zu erfahren, welche Faktoren für die unterschiedlichen gesellschaftlichen Entwicklungen in Europa verantwortlich waren. Was Deutschland jedenfalls aus dem NSA-Skandal gelernt haben sollte, ist dass auch die USA in Europa ihre machtpolitischen Interessen verfolgen (und dazu gehört offensichtlich auch Industriespionage). Das ist aber keine Frage von Anstand und Moral, sondern von einer angemessenen Reaktion der einheimischen Spionageabwehr. Deutschland muss endlich anfangen, seine vitalen nationalen Interessen zu definieren und diese – falls nötig – mittels seiner Geheimdienste zu verfolgen.
Radikalisierung der politischen Landschaft
Zu diesen nicht gerade wenigen Streitlinien innerhalb der Europäischen Union gesellen sich eine Radikalisierung der politischen Lager und eine tiefsitzende Furcht vor weiteren islamistischen Anschlägen. All dies verursacht eine hoch emotionalisierte Atmosphäre, in der es immer schwieriger wird, sachlich und ergebnisoffen miteinander zu diskutieren, was ein wichtiges Merkmal einer Demokratie darstellt. Es ist angesichts der enormen Probleme Europas wenig erstaunlich, dass Parteien des rechteren Spektrums Zustimmung erhalten. Deutschland stellt hier gegenwärtig die große Ausnahme dar, wenn man bedenkt, dass beispielsweise in Frankreich bei den Regionalwahlen im Dezember 2015 der rechtsnationale Front National fast sieben Millionen Wählerstimmen erhalten hat.
In Finnland, Dänemark, den Niederlanden, Belgien, Österreich, der Schweiz, Ungarn und in Polen gibt es ebenso seit langem starke rechtspopulistische Parteien, die in manchen Ländern (wie in Dänemark, Finnland, Ungarn oder Polen) sogar die Regierung stellen oder an ihr beteiligt sind. Die Schweizer hatte in mehreren Volksabstimmungen eine sehr kritische Grundhaltung zur Zuwanderung an den Tag gelegt, während die Bürger in Dänemark einer engeren Zusammenarbeit mit EUROPOL am 3. Dezember 2015 eine Absage erteilt haben. Auch in Deutschland ist eine starke Opposition aus teils rechtsradikalen Kreisen entstanden, die besonders durch die Flüchtlingskrise angewachsen ist. Eine einigende Idee Europas fehlt weithin, obwohl sie angesichts schwerwiegender Herausforderungen nötig wäre.
Globaler Terror, globale Transformation
Ausgelöst durch die Radikalisierung der islamischen Welt nach der Iranischen Revolution hat sich auch außerhalb Europas die Parteienlandschaft aber auch die gesellschaftliche Stimmung geändert. Russland, die USA, Israel, die Türkei oder Indien haben in den letzten 15 Jahren nicht zuletzt aufgrund islamistischer Attentate ihre Innen- und Sicherheitspolitik verändert. Damit haben Dschihadisten und militante Salafisten einen Großteil der Welt gegen sich aufgebracht – mit potentiell verheerenden Folgen für die Zivilbevölkerung in Nahost.
Russland hatte besonders in den später 1990er und frühen 2000er Jahren unter Anschläge von tschteschenischen Terrororganisationen zu leiden. Erst ein langer, kostspieliger Krieg konnte die Lage im Kaukasus vorerst beruhigen, weswegen die Teilnahme am Krieg in Syrien auch mit der russischen Innenpolitik verflochten ist. Israel muss seit Jahrzehnten in ständiger Terrorangst leben und wird eine Ausbreitung des militanten Islamismus an seine Landesgrenzen niemals hinnehmen können. In Indien wurde der hinduistische Nationalismus spätestens nach dem verheerenden Anschlag 2008 in Mumbai geweckt. Die jüngsten Äußerungen des republikanischen Präsidentschaftskandidaten Donald Trump zum Einreisestopp für Moslems offenbaren, wie stark die USA durch zahlreiche islamistische Attentate und die Kriege in Nahost verwandelt wurden. Dass dabei die Äußerungen Trumps dem Islamischen Staat in seiner anti-westlichen Agitation helfen – wie zurecht die ehemalige Außenministerin Hillary Clinton anmerkte – soll nicht unerwähnt bleiben. Amerikanische Geheimdienstler werden die Hände über den Kopf zusammengeschlagen haben, als die Rede Trumps über den Äther lief. Die Türkei entwickelt sich unter Erdogan zu einem autoritär regierten Staat, der nicht nur unabhängige Journalisten verfolgt sondern auch politisch aktive Bürger, wie die Gezi-Proteste 2013 bewiesen. Anhänger der Gülen-Bewegung, deren Hilfe Erdogan seinen Aufstieg verdankt, oder der PKK leben in ständiger Gefahr, verhaftet zu werden. Dass es dabei Erdogan vor einiger Zeit fast geschafft hatte, die Kurdenfrage friedlich zu lösen, ruft aufgrund der jüngsten Entwicklung in Ost-Anatolien Verwunderung hervor. Bereits jetzt sind islamistische Kräfte innerhalb der Landesgrenzen des NATO-Partners aktiv, denen eine Destabilisierung der Türkei gelegen käme.
Siehe auch: Europa vor dem Aus