Eine Strategie des Westens gegen ISIS (Teil I)

Nach den Anschlägen auf dem Sinai (31. Oktober), in Beirut (12. November), in Paris (13. November), in Yola (17. November), in Israel (19. November) und zuletzt in Bamako (20. November) sollte auch dem Letzten klar geworden sein, dass die Europäer einen weltweiten Kampf gegen den Terror führen müssen.

Einsatz von Bodentruppen unausweichlich

Terrorgruppen müssen letztlich mit Bodentruppen bekämpft werden, besonders weil gegen Luftschläge die Zivilbevölkerung als Schutzschild missbraucht wird. Es wird dem Westen nichts anderes übrig bleiben, als mit ausreichend starken Streitkräften bis in das Herz von ISIS vorstoßen. Unabdingbar erscheinen die Eroberungen von Mossul und Rakka, der beiden Hochburgen der Terrororganisation, und damit die Befreiung von 8 Millionen Menschen vom Joch der Islamisten. Ein strategischer Fehler der Amerikaner war es 2003 gewesen, mit zu geringen Kräften ein riesiges Gebiet nach der Befreiung kontrollieren zu wollen. Das mag zwar die eigenen Verluste minimieren, stellt aber kein adäquates Mittel dar, um sowohl die einheimische Bevölkerung vor Attentaten zu schützen als auch ISIS wirksam zu bekämpfen. Deswegen müssen verlässliche Bodentruppen in ausreichender Höhe vor Ort stationiert werden.

Stärke der eingesetzten Streitkräfte entscheidend

Es mutet merkwürdig an, wie im Bundestag bereits um eine Steigerung des Engagements der Bundeswehr um wenige hundert Mann gerungen werden muss. Offenbar ist man sich in Berlin immer noch nicht der Dimension der bevorstehenden Aufgaben bewusst. Eine effiziente Kontrolle eines Landes wie Afghanistan dürfte zum Beispiel eine Gesamtstärke von vielleicht 700.000 bis 800.000 Mann nötig machen. 500.000 amerikanische Soldaten waren auf dem Höhepunkt des Vietnamkriegs 1968 in Indochina stationiert – und sie verloren trotzdem gegen einen militärisch eindeutig unterlegenen Gegner. Da der Virus des Terrorismus aber mittlerweile auf zahlreiche Länder wie Nigeria, Mali oder den Jemen übergesprungen ist, benötigt der Westen und Verbündete wie Russland, Jordanien, Ägypten oder die Türkei eine enorme Streitmacht. Das bedeutet für viele europäische Länder, dass aufgerüstet werden muss, was nach einer Ära der Abrüstung und der schrumpfenden Verteidigungshaushalte besonders schwer fällt.

Verhandlungen mit ISIS zum Scheitern verurteilt

Man erlaube mir einen kleinen, historischen Exkurs: Im Unterschied zu dem Vietcong in Südvietnam hat der Westen in diesem Konflikt keinen echten Partner für Verhandlungen. Nixon hatte 1969 die Entscheidung getroffen, dass die USA nicht bereit waren, die erforderlichen Ressourcen – auch angesichts der öffentlichen Meinung – für eine weitere militärische Eskalation bereit zu stellen. Gleichzeitig hat er eine diplomatische Lösung angestrebt und hierzu die Volksrepublik China eingebunden. Letztlich konnte Nixon einen Waffenstillstand schließen und daraufhin die Truppen abziehen. Das dürfte ihm umso leichter gefallen sein, da sich die „Domino-Theorie“ als falsch heraus gestellt hat. Der Vietcong hat allerdings keinen groß angelegten Terror außerhalb des eigenen Landes verbreitet und strebte auch nie die Weltherrschaft an. Beide Kontrahenten waren glücklicherweise nicht soweit entmenschlicht, als dass die Option „Wir oder die anderen“ jemals ernsthaft in Erwägung gezogen wurde. Aber mit wem und über was will man mit ISIS oder al-Qaida verhandeln? Leider scheinen wir in diesem Fall bei besagter Option angelangt zu sein.

Die Dauer des Einsatzes in Nahost

Was ebenso bei einem Einsatz westlicher Kräfte im Nahen Orient beachtet werden sollte, ist die zeitliche Begrenzung des Einsatzes. Die USA hatten 2003 bereits von Anfang an verlautbart, dass ihr Engagement mit Bodentruppen im Irak befristet wäre. Dies führte zum einen dazu, dass die Terroristen sich bis zum Abzug der amerikanischen Truppen nur ruhig verhalten mussten. Zum anderen war es nur noch schwer möglich, auf veränderte Sicherheitssituationen zu reagieren, ohne den Unmut der Presse oder der Öffentlichkeit auf sich zu ziehen. Deswegen sollten Regierungen sich nicht leichtfertig unter Druck setzen, indem sie eine Deadline des Einsatzes vorgeben. Der Einsatz wird solange dauern, wie es nötig ist, um ISIS, al-Qaida, die Taliban oder die al-Nusra-Front auszulöschen. Aller Wahrscheinlichkeit wird man auf Jahre, wenn nicht Jahrzehnte sich in den betroffenen Staaten engagieren müssen.

Globaler Terror erfordert eine globale Reaktion

Eine weitere Frage, die der Westen sich stellen muss, ist, wo man sich angesichts begrenzter Ressourcen militärisch engagieren möchte.  Wie ich bereits schrieb, ist der islamistische Terror mittlerweile nicht nur in Syrien oder im Irak beheimatet. Al-Qaida, die Taliban, die al-Nusra-Front, die al-Shabaab-Milizen, Hisbollah und Boko Haram haben dafür gesorgt, dass auch Afghanistan, Libyen, der Libanon, Mali, Nigeria, der Jemen und Somalia vom Terror heimgesucht werden. In einer globalisierten Welt ist es für einen nicht uniformierten Kämpfer von ISIS leicht, staatliche Grenzen zu überwinden. Eine Beruhigung oder gar ein Sieg in Syrien darf nicht bedeuten, dass in Somalia oder in Nigeria nicht eingriffen wird. Denn dann verschiebt der Westen bestenfalls eine Lösung des Problems und ermöglicht ISIS, sich in anderen Regionen der Welt zu sammeln und zu erholen. Die Ideologie kennt keine Grenzen. Das Problem ist natürlich, dass sich die aktuelle Truppenstärke Europas, Russlands und der USA auf ca. 4 Millionen beläuft, eine Zahl, die wahrscheinlich erforderlich wäre, um die gesamte Region wieder einigermaßen unter Kontrolle zu bekommen. Der nicht unerhebliche quantitative Unterschied zwischen den westlichen Truppen und den militanten Islamisten, die zusammen nicht mehr als 300.000 Mann aufstellen können, ist eine Folge des asymmetrischen Kriegs und der gewaltigen Ausdehnung der vom Terror betroffenen Staaten.

Siehe auch: Eine Strategie des Westens gegen ISIS – Teil II

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